Alumni-News

57. Grimme-Preis 2021

An drei prämierten Filmen wirkten unsere Alumni teils maßgeblich mit.

11.05.2021 - Heute wurden - erstmals im Stream - die Preisträgerinnen und Preisträger des diesjährigen Grimme Preises bekanntgegeben.

"Das Preisjahr 2021 offenbart einen kreativen Schub und zeigt bemerkenswert, was das Fernsehen der Gegenwart leisten kann. Die Formate, der Einsatz audiovisueller Techniken und die Bandbreite der Dramaturgien sind vielschichtig, aktuell und variationsreich. Bekannte Stereotype werden an vielen Stellen aufgebrochen, gewohnte Pfade verlassen und Bewährtes weiterentwickelt", so Grimme-Direktorin Frauke Gerlach.

Der Grimme Preis im Wettbewerb Fiktion geht an Deborah Feldman (Buch), Alexa Karolinski (Buch), Anna Winger (Buch), Maria Schrader (Regie) und Shira Haas (Darstellung) für "Unorthodox" (D 2020) in der Regie von Maria Schrader – B-Kamera Jana Pape (Cinematography 2019), Montage Hansjörg Weißbrich Gesa Jäger (Montage), Sound Design Paul Rischer (Ton 2012) Sebastian Morsch (Ton 2003), Mischton Linus Nickl (Ton 2014) Postproduction Supervisor Uli Kunz (Filmuni-Mitarbeiter) - Trailer

Erzählt wird die Geschichte einer jungen Frau, die einer kleinen Minderheit entstammt. Und doch sind die Geschichte und die Botschaft dieser Serie universell: Es geht um die Suche nach der eigenen Stimme, nach einem selbstbestimmten Leben. Wie eine junge Frau aus traditionellen Zwängen ausbricht – dies wurde gewiss schon oft erzählt. Aber noch nie auf diese Weise und selten so genau und einfühlsam wie in dieser Serie, die in jeder Minute ihrer vier Folgen zu überzeugen weiß. Die Serie verschränkt dabei durch eine kluge Montage zwei auf unterschiedlichen Zeitebenen spielende Erzählstränge, die in Williamsburg und in Berlin spielen. Die Darstellung der Lebensweise und der Traditionen der ultraorthodoxen Gemeinschaft in Williamsburg hätte dabei leicht klischeehaft oder gar herablassend wirken können. Stattdessen gelingt der Serie aber eine detailreiche und niemals abwertende Darstellung des jüdischen Brauchtums in all seiner Würde und Schönheit. Dass dies gelingt, liegt insbesondere an den Leistungen von Anna Winger, Alexa Karolinski und Maria Schrader, die bei der losen filmischen Umsetzung des autobiografischen Romans von Deborah Feldman Fingerspitzengefühl bewiesen. Bei aller Genauigkeit und Authentizität ist es ihnen gelungen, eine spannende und unterhaltsame Serie auf höchstem internationalen Niveau zu konzipieren und zu realisieren, deren Handlung einen unglaublichen Sog entwickelt und die Zuschauer*innen mitfiebern lässt: Schafft Esty es, den Zwängen und Einschränkungen ihres alten Lebens zu entkommen und sich ein neues, eigenes Leben aufzubauen – oder schafft sie es nicht?
Neben dem außergewöhnlichen Frauen-Team hinter der Kamera tragen auch die schauspielerischen Leistungen zu dem überaus stimmigen Gesamtbild bei: Wie die Hauptdarstellerin Shira Haas Estys Zerbrechlichkeit, ihre innere Zerrissenheit und ihre Suche nach sich selbst – häufig nur durch feine Veränderungen ihrer Mimik – darstellt, ist große Schauspielkunst und in jeder Sekunde überzeugend. Auch von der Figurenzeichnung war die Jury begeistert: Alle Figuren sind genau ausgearbeitet, nie eindimensional, sondern in ihrer Widersprüchlichkeit fein ausgelotet, absolut glaubwürdig und machen eine Entwicklung durch – und das in nahezu jeder einzelnen Szene. So ist auch Estys Ehemann Yanky im Grunde eine genauso tragische Figur wie Esty selbst. Auch er ist jemand, der durch die Regeln und Traditionen der Gemeinschaft in seine Rolle gedrängt wurde und selbst noch auf der Suche nach seinem Platz zu sein scheint.
Zu loben ist auch der Mut, zugunsten der Glaubwürdigkeit etwa die Hälfte der Serie auf Jiddisch zu drehen und damit dem überwiegenden Anteil des Publikums Untertitel zuzumuten. Doch die Serie ist nicht nur mutig, sondern macht auch Mut: all jenen, die sich in einer ähnlichen Situation wie Esty befinden. Es lohnt sich, um ein selbstbestimmtes Leben zu kämpfen.
(Jurybegründung)

Im Wettbewerb Information & Kultur vergab die Jury einen Grimme Preis an Grimme Preis an Antje Boehmert (Buch/Produktion) und Dominik Wessely (Regie) für "Love Parade – Die Verhandlung" (D 2020) in der Regie von Dominik Wessely – Kamera u.a. Till Vielrose (Kamera 2009)

Dies ist die herausragend gelungene Dokumentation der schwierigen juristischen Aufarbeitung der tödlichen Massenpanik in Duisburg 2010. Zugleich aber ist sie es nicht, sofern man darunter die Beantwortung aller offenen Fragen, die sichere Zurechnung von rechtlicher Verantwortung und einen eindeutig versöhnenden Ausblick für die trauernden Hinterbliebenen versteht. Wenn man diesen Film gesehen hat, kann man davon ausgehen, dass dem Gerechtigkeitsgefühl vieler Angehöriger im Verfahren nicht genüge getan wurde. Und doch wurde Ordnung hergestellt, ein übergeordnetes Rechtsziel.
Der Film "Loveparade – Die Verhandlung" macht es mit exemplarischer Sachlichkeit, die Tatsachen und Emotionen aus vielen Perspektiven genau beleuchtend, deutlich: Das am 4. Mai 2020 vor dem Duisburger Landgericht ohne Urteil beendete Verfahren war kein skandalöses, sondern ein die Rechtsgrundsätze konsequent anwendendes. Dass es sich die Kammer nicht leicht gemacht hat, zeigt sich in zahllosen, wie Zeugenaussagen in Szene gesetzten Kommentaren des Richters und der Staatsanwälte zum Verlauf der 184 Prozesstage. Auch Verteidigung und Nebenkläger*innen, Hinterbliebene und Pressevertreter*innen kommen zu Wort. Es entsteht ein genaues Puzzle aus Vorgängen, Aufnahmen, Sachverständigen-erläuterungen und Bewertungen prominenter Juristen, mit einer Fülle von Einordnungen. Gegenseitig erhellend montiert, hinterlassen sie den Eindruck, dass hier die Tatsachengrundlage entsteht, auf der nach Moral und Schuld gefragt werden kann. Dabei ist "Loveparade – Die Verhandlung" spannend wie ein Verfahren, das sich den Modus der Empörung, der höchstens im Untersuchungsausschuss am richtigen Platz wäre, versagt.
Dominik Wessely, die Autorin Antje Boehmert, Knut Schmitz und Till Vielrose als Bildgestalter und Marcel Ozan Riedel als Editor hätten auch ganz anders vorgehen können. Sie hätten Fragen von Moral und Schuld in den Mittelpunkt stellen können. Sie hätten das Archivmaterial der "Loveparade"-Katastrophe zu einem Haudrauf-Stück über – vermeintliches – Justizversagen montieren können und damit auf große emotionale Resonanz setzen. Sie hätten ihre chronologisch geordnete Beobachtung des lang verzögerten Mammut-Prozesses durch die gleich gewichtete Begleitung der Nebenkläger direkt kontrastieren können. Sie hätten sich an die Fersen des ehemaligen Duisburger Oberbürgermeisters Sauerland und die des Veranstalters Schaller heften können, um auf billige Weise über das Verhältnis von Moral und Justiz zu reflektieren.
All das macht der Dokumentarfilm nicht. Er setzt stattdessen in beispielgebender Art auf die Haltung der Distinktion. Ein Prozess, so viel man sich von ihm versprechen mag, ist kein politischer Untersuchungsausschuss. Die Prozessordnung, über die wir hier enorm viel erfahren, funktioniert anders. Hier ist gerade in seiner nüchternen Zurückhaltung ein großer Film gelungen.
(Jurybegründung)

Über den Grimme Preis Spezial im Wettbewerb Kinder & Jugend darf sich Mina-Giselle Rüffer für ihre herausragende Darstellung der "Nora" der 5. Staffel "Druck" (D 2020) freuen. Regie führte u.a. von Sophie Linnenbaum (BA Regie 2016) – Kamera Lotta Kilian (Cinematography 2012), Valentin Selmke (Cinematography 2019) u.a., Montage Friederike Hohmut (Montage 2019), David Hartmann (Montage 2012), Sound Design Paul Rischer (Ton 2012), Ton Tim Altrichter (Sound 2014), Junior-Producer*in Julia Zechiel (BA Produktion 2017) und Nikolaas Meinshausen (MA Produktion 2019), Produktionsleitung Jule Terrey (Produktion 2012)

"DRUCK" ist eines der bemerkenswertesten Jugend-TV-Phänomene der vergangenen Jahre und sorgt kontinuierlich ebenso für hohe erzählerische Qualität wie für frenetischen Zuspruch aus der jungen Ziel-gruppe. In seiner fünften Staffel startet das Format mit einer neuen Generation Jugendlicher. Im Mittelpunkt steht Nora Machwitz, um die sich die gesamte Staffel dreht. Um diese Herausforderung überzeugend zu meistern, bedarf es einer besonderen schauspielerischen Leistung; ein reines Eintauchen in die Gruppe ist angesichts zahlreicher intensiver Soloszenen nicht möglich.
Mit Mina-Giselle Rüffer hat "DRUCK" die perfekte Besetzung gefunden. Sie schöpft die Potenziale ihrer komplexen Rolle vollumfänglich aus. Im einen Moment jung und zerbrechlich, im nächsten dann wieder erwachsen und abgeklärt, legt sie eine enorme Wandlungsfähigkeit an den Tag. Was die spezifische Anforderung an die Rolle ausmacht, ist das Krankheitsbild der Dissoziation und Depersonalisation. Am Anfang der Staffel sind es kurze Szenen, die auf Symptome von Depression oder posttraumatischer Belastungsstörung hindeuten könnten. Im weiteren Verlauf wird dann immer klarer, dass Nora am krankhaften Zustand der Selbstentfremdung leidet, der mit emotionaler Taubheit und dem Gefühl des permanenten „Neben-sich-Stehens“ einhergeht. So schwer fassbar diese psychische Störung im realen Leben sein mag, so hoch liegt erst recht die Hürde, sie mit den Mitteln des Schauspiels für Dritte erfahrbar zu machen. Rüffer gelingt dies, indem sie eine Durchlässigkeit in ihre Darstellung bringt, die sehr intuitiv wirkt und das Serienpublikum nicht nur nah ran, sondern gefühlt in sie hineinlässt. So wird am Bildschirm nachvollziehbar, wie es sich wohl anfühlen muss, wenn sie sagt, sie befinde sich in einer Art Glaskugel, alles Leben um sie herum spiele sich weit weg ab, sie erlebe hautnahe Kontakte wie aus der Ferne. Auch die Sorge, von anderen für verrückt gehalten zu werden, und sich daher selbst engen Freunden nicht anvertrauen zu können, ist Teil von Rüffers intensivem Spiel. Damit bietet sie nicht zuletzt Betroffenen und deren Angehörigen einen ernst zu nehmenden Katalysator für die Vermittlung von Verständnis.

Es wäre freilich zu kurz gegriffen, ihre Leistung über die komplette Staffel auf die Dissoziationen der Figur zu reduzieren. Im Zusammenspiel mit ihrem Freund, ihren Freundinnen und Schwestern wird auch darüber hinaus in etlichen Szenen ein stark ausgeprägtes Bewusstsein für Timing und Rhythmus deutlich, das längst nicht alle Darsteller*innen der Serie im selben Maß aufweisen. Mit authentisch wirkenden Empfindungen eines Teenagers liefert Rüffer hohes Identifikationspotenzial für die "DRUCK"-Zielgruppe. (Jurybegründung)

Der nach dem ersten Generaldirektor des Nordwestdeutschen Rundfunks, Adolf Grimme (1889–1963), benannte Preis würdigt Produktionen und Fernsehleistungen, die "die spezifischen Möglichkeiten des Mediums Fernsehen auf hervorragende Weise nutzen und nach Inhalt und Methode Vorbild für die Fernsehpraxis sein können" (Statut des Grimme-Instituts).

Die feierliche Preisvergabe des 57. Grimme Preises wird am 27. August 2021 stattfinden.

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