Ora et labora. - Beate Hetényi

Ora et labora. (Bete und arbeite.)

Ende letzten Jahres besuchte ich die Fachtagung „Wissenschaftskommunikation“. Während der Podiumsdiskussion zeichneten Illustratoren unsere Botschaften als Graphic Recordings. So entstand u.a. ein charmanter Römer auf einem Podest mit Lorbeerkranz und VR Brille. Wir nannten ihn einfach Cicero. Wenige Monate später kam die Krise. Das Team blieb zu Hause und ich telefonierte und skypte und zoomte und verzweifelte. Fast jeder erzählte mir Dinge aus seinem Leben, die ich wohl ohne die Pandemie nie erfahren hätte oder die vielleicht sonst nie passiert wären. Und jeder bat mich darum, sie für mich zu behalten. Als wir die Studios letzte Woche wieder bezogen, nahm ich die Zeichnung, verpasste ihr zusätzlich noch einen Mundschutz und schrieb eine Händewaschanleitung dazu. Was würden die Wissenschaftler in 2000 Jahren wohl dazu sagen? Ist denn noch nie jemanden aufgefallen, wie viel man von den Lippen liest? Und wie unverständlich eine Maske die Worte macht? Vielleicht wird man im Jahr 4020 behaupten, die Menschen im Jahre 2020 durften nicht offen sprechen? Und das obwohl derzeit alle Halskratzen wegen der langen Telefonate haben! Meinem Cicerobild zwinkere ich jedenfalls jeden Morgen zu und sage zu ihm: „Komm alter Freund, nimm wieder Deine Maske wieder ab und erzähl mir deine Geheimnisse!“

© Beate Hetényi, "Virtual History"