Rekonstruktion verschollener Stummfilmtrailer

Im Rahmen des Seminars Das Rohmaterial der (Film)geschichte. Eine Einführung in die medienhistorische Quellenkunde rekonstruieren die Studierenden des Masterstudiengangs Filmkulturerbe die vermeintlich verschollenen deutschen Kinotrailer zu berühmten wie auch wenig bekannten Stummfilmen aus den späten 1920er Jahren. Solche Rekonstruktionen können bestenfalls als Annäherungen an die tatsächlichen, verloren gegangenen Trailer gelten. Trotzdem erlauben sie uns Einsichten in die Vermarktungsstrategien der Produktions- und Verleihfirmen zu jener Zeit. 
Diese Übung, die eigenständige historische Recherche mit kreativen und praktischen Komponenten verbindet, wird seit dem Wintersemester 2019/20 auch im Rahmen einer ähnlich ausgerichteten Lehrveranstaltung des Bachelorstudiengangs Konservierung & Restaurierung / Grabungstechnikan der HTW Berlin ausgeführt. Ausgewählte Beispiele, die sich aus den Ergebnissen der beiden Studierendengruppen zusammensetzen, werden in Kooperation mit filmportal.dedemnächst online veröffentlicht. Einen kleinen Vorgeschmack liefert die hier präsentierte Rekonstruktion des Trailers zu G.W. Pabsts Stummfilmklassiker TAGEBUCH EINER VERLORENEN (D, 1929).

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Damals wurden, wie heute noch, kurze Werbefilme – auch »Vorspann-« oder »Vorreklamefilme« genannt – zum Bewerben neuer Kinofilme angefertigt, die oft (wenn auch nicht immer) aus zusammengestellten Highlights des entsprechenden Films bestanden. Die meisten dieser Stummfilmtrailer existieren heute nicht mehr – ein Zustand, der sich auf die Jahrzehnte andauernde Tendenz unter Archivar*innen und Wissenschaftler*innen zurückführen lässt, den Kinotrailer als rein ephemeres Nebenprodukt der industriellen Filmproduktion zu missachten und folgerichtig nicht als filmhistorisch wertvolle, bewahrungswürdige Gattung zu erachten. 
In den 1920er Jahren in Deutschland mussten die Trailer, wie alle anderen Kinofilme auch, erst einer Prüfung durch die staatliche Filmzensur unterzogen werden, bevor sie überhaupt öffentlich aufgeführt werden durften. Für jeden geprüften Film wurde eine sogenannten Zulassungskarte von der zuständigen Prüfstelle in Berlin respektive München angefertigt. Mehrere dieser Zulassungskarten, auch zu Filmen, die heutzutage als verschollen gelten müssen, werden im Bundesarchiv aufbewahrt. Erhaltene Exemplare von den Zulassungskarten, die ab Mitte der 1920er Jahre ausgestellt wurden, enthalten detaillierte schriftliche Inhaltsangaben, anhand derer die ursprüngliche Einstellungs- und Szenenfolge des Trailers sich mit relativer Wahrscheinlichkeit nachvollziehen lässt. Diese Dokumente bilden daher eine wesentliche Grundlage für die Rekonstruktionen der Trailer durch die Studierenden des Masterstudiengangs Filmkulturerbe. Sofern vorhanden, können zusätzlich andere überlieferte Primärquellen in den Arbeitsprozess miteinbezogen werden, denn der Trailer war schließlich Teil einer größer angelegten Gesamtwerbekampagne. Andere Werbematerialien wie etwa Plakate, Aushangfotos oder Presseanzeigen können daher wichtige ergänzende Hinweise für die Trailer-Rekonstruktionen liefern.

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung

Szenenfolge nach der Zulassungskarte

  1. Brooks Großaufnahme.
  2. Halb-Totale Gesellschafts-Szene.
  3. Brooks bekommt Geschenke.
  4. Groß Rasp hat Brooks im Arm und küßt sie.
  5. [Verboten: Rasp trägt Brooks zum Bett und legt sie nieder.]
  6. [Verboten: Eine Hand mit einem Foto.]
  7. Rasp schaut auf.
  8. Großaufnahme eine Frau kniet an der Erde und streckt ein Kinderhemd in die Höhe.
  9. Totale Zöglingsheim.
  10. Zöglinge essen.
  11. Vorsteherin schlägt einen Gong.
  12. Zöglinge turnen.
  13. Zöglinge liegen im Bett, lesen, rauchen, unterhalten sich.
  14. [Verboten: Panorama über die Betten.]
  15. Arno tritt zur Tür herein.
  16. [Verboten: Zieht sich Jackett aus.]
  17. Totale Zimmer. Personen tanzen.
  18. [Verboten: Groß Newlinsky tanzt mit Brooks durch eine Tür –]
  19. [Verboten: Eine Frau tritt aus einer Tür und schließt dieselbe.]

Länge: 82 m nach Kürzung: 54,75 m

Folgende Teile sind verboten:

Aus der Szenenfolge:

  • Nr. 5: Rasp trägt Brooks zum Bett und legt sich halb über sie. 6,55 m.
  • Nr. 6: Zwei Hände mit Nacktphotos. 2,65 m.
  • Nr. 14: Aus der Panoramaaufnahme der Betten die Stelle, an der zwei Mädchen in einem Bett die Decke über sich ziehen. 0,50 m.
  • Nr. 16: Arno zieht sich das Jackett aus und beginnt, sich die Hosenträger abzuknüpfen. 1,80 m.
  • Nr. 18 und 19: Newlinsky tanzt mit Brooks durch eine Tür. Eine Frau tritt aus der Tür und schließt sie. 15,75 m.

Quelle: Zulassungskarte »Vorspannfilm: Tagebuch einer Verlorenen« vom 2. Oktober 1929, Bundesarchiv (BArch), R 4396 / B.23667