Alisi Telengut: Re-animating Animism
Ihr habt gerade eure Dissertationen verteidigt, herzlichen Glückwunsch! Könnt Ihr uns kurz erzählen, worum es in euren Promotionen ging?
Alisi Telengut: Vielen Dank! Anstatt die koloniale Brille des 19. Jahrhunderts zu übernehmen, die Animismus auf einen primitiven Irrtum eines Glaubens an Geister reduziert, rekonzeptualisiert meine Promotion, gestützt auf zeitgenössische Anthropologie, indigenes Wissen und posthumane Theorien, den Animismus als relationale, performative und situierte Ontologie. Diese Neuverortung stellt die ererbten westlichen Trennungen zwischen Mensch/Natur und Subjekt/Objekt infrage und eröffnet neue Weisen des Denkens und Praktizierens, wie Menschen sich in der weiteren mehr-als-menschlichen Welt mit der Natur verbinden.
Durchgeführt im wissenschaftlich-künstlerischen Promotionsprogramm der Filmuni, besteht das Projekt aus zwei Teilen: einer theoretischen Dissertation, Re-Animating Animism, und einem künstlerischen Teil, der mittels Methoden der künstlerischen Forschung entwickelt wurde, dem handgefertigten Animationskurzfilm Baigal Nuur - Lake Baikal. Der Film reimaginiert die Entstehung des Baikalsees in Sibirien (des tiefsten Süßwassersees der Welt) und enthält die Stimme einer indigenen Burjatin, die sich noch an Wörter ihrer Muttersprache erinnert - Burjatisch, eine mongolische Sprache, die aufgrund anhaltenden Kolonialismus und kultureller Assimilation heute stark gefährdet ist. Der in die Tonspur eingewobene Wortschatz spiegelt die tiefen Verbindungen zwischen indigenen Gemeinschaften und ihren natürlichen Lebensräumen wider.
Diese Rekonzeptualisierung des Animismus wird unmittelbar in meiner Unter-der-Kamera-Animation (eine Form von Stop-Motion) vollzogen, mit händisch eingesetzten Materialien und Fundobjekten wie Ölkreiden, Steinen, Sand, Kristallen u. a. Auf einer einzigen Metallplatte und in einem ohne Schnitte arbeitenden Workflow überschreibt jedes Bild das vorherige; mit der Schichtung wächst die physische Masse zu einem ziegelartigen Block an, ein Echo geologischer Sedimentation. So rahmt die Forschung den Animismus konzeptuell neu, während der Film seine relationale Ethik erfahrbar und emotional lesbar macht.
Kathi Kaeppel: Danke. Meine wissenschaftlich-künstlerische Forschungsarbeit beschäftigt sich mit der Expansion des Animationsfilms in den Raum der künstlerischen Installation. Die Animation im Raum (AIR) wird dabei als eigenständiges Genre identifiziert, dessen Eigenheiten und Möglichkeiten, aber auch Abgrenzungen zu anderen Kunstformen im Mittelpunkt des Forschungsinteresses standen. Teil meiner Forschungsarbeit waren neben der Dissertation sechs Case Studies, eigenen künstlerischen Werken, mit denen ich meinen Forschungsgegenstand untersucht und kontinuierlich weiterentwickelt habe.
Was waren die besonderen Herausforderungen der Promotionszeit und seid ihr zufrieden mit dem Ergebnis?
Alisi Telengut: Das Projekt begann während der Pandemie, die erhebliche Hindernisse für meine Forschung mit sich brachte. Ich hatte geplant, für Feldarbeit und Interviews nach Sibirien zu reisen, doch diese Pläne wurden zunächst durch globale Beschränkungen beeinträchtigt und später im Anschluss an Russlands Invasion in die Ukraine ganz abgesagt. Ich hatte jedoch das Glück, mit Marina Dorzhieva, einer in Südwestdeutschland lebenden Burjatin (der Mutter einer Freundin), zusammenzuarbeiten; ihre Stimme ist im Film zu hören. Außerdem bin ich der Abteilung Animation der Filmuni für die technische Unterstützung dankbar.
Der Film hat mehrere Preise erhalten, darunter Best Animated Short bei Go Short(Niederlande), und wurde breit auf großen Festivals und in Ausstellungen gezeigt, u. a. bei Sundance (USA), der Whitney Biennial (USA), TIFF (Kanada), Annecy (Frankreich) und weiteren. Es war eine herausfordernde Forschungsreise, letztlich jedoch ein zutiefst lohnender Prozess, der substantielle Ergebnisse und unschätzbare Lernerfahrungen hervorgebracht hat.
Kathi Kaeppel: Die größte Herausforderung der letzten fünf Jahre war für viele Menschen weltweit die Pandemie. Ein Hauptteil meiner Forschungsarbeit ist während dieser Zeit erarbeitet worden — Home-Schooling, Home-Kindergarden, Homeoffice, Kontakteinschränkungen, Verschiebungen von Produktionen und Ausstellungen, Zooms, Isolation, Absperrbändern etc. — und alles immer in ungewissen Wellen und mit vielen Gedanken um das Wohl meiner Kinder und um den besorgniserregenden Zustand der Welt. Trotz der Herausforderungen hat mir die Forschungsarbeit, das Recherchieren, Lesen, Schreiben und Reflektieren durch die künstlerische Praxis, sehr viel Freude bereitet. Mein Forschungsvorhaben hatte im Jahr 2019 zu einer Zusammenarbeit mit der Hochschule Luzern Design Film Kunst an dem dreijährigen Forschungsprojekt Moving in Every Direction geführt. Die Mitarbeit in der Forschungsgruppe und das PhD Kolloquium an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF, das Hans regelmäßig organsiert hat, waren für meine Promotionszeit eine großartige Möglichkeit in kontinuierlichem Austausch mit anderen Forscher*innen zu stehen. Durch das Verstehen-wollen von anderen Sichtweisen zu meinem Forschungsgegenstand und möglichen Vorformen habe ich für mich neue Methoden, Techniken und Denkprozesse kennengelernt, so dass ich nicht nur mit dem Ergebnis, sondern vor allem mit meinem Weg dorthin sehr zufrieden bin. Meinen Doktorvätern bin ich dankbar, dass sie mich kritisch, mutmachend und fordernd begleitet haben.
Welche Pläne habt ihr jetzt?
Alisi Telengut: Unmittelbar nach der Verteidigung bin ich direkt wieder in meine Lehrtätigkeit als Tenure-Track-Assistant Professorin für Film Animation an der Concordia University (Montréal, Kanada) zurückgekehrt. Über den Unterricht hinaus setze ich meine künstlerische Forschung fort und kehre zu Steinen als Mitakteuren und zentralen Subjekten eines neuen Projekts zurück.
Kathi Kaeppel: Im Jahr 2024 bin ich an die Folkwang Universität der Künste als Professorin für Bewegtbild berufen worden und seit dem Sommersemester Prorektorin für Digitalität und Diversität. Ich freue mich auf meine Aufgaben dort, wie mitunter das langjährige Forschungsprojekt Multidisciplinary in Dialogue and Artistic Practice,gefördert von der Stiftung Innovation in der Hochschullehre, an dem wir ab Oktober mit der UdK Berlin zusammenarbeiten werden. Neben vielen Texten, die ich gerne lesen möchte, werde ich die AIR in meiner künstlerischen Praxis weiterentwickeln und damit auch die künstlerische Forschung, die sich als sehr fruchtbarer und zukunftsweisender Weg erwiesen hat.

