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Wir nehmen Abschied

Unser Alumnus und ehemaliger Professor Gerd Gericke starb am vergangenen Samstag in Potsdam

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12.08.2021 – Es war eine lange Krankheit, die ihm zuletzt das Leben schwermachte und ihn schließlich kapitulieren ließ. Letzten Samstag schloss Gerd Gericke für immer die Augen.

Mit ihm ist wieder ist einer von den Großen gegangen und einer von den eher Stillen, die ihre Lorbeeren nicht poliert auf dem Haupte trugen.

Als einer der ersten kam er 1955 nach Babelsberg an die Hochschule für Filmkunst, um hier Film- und Fernsehproduktion zu studieren. Dafür gab er sein bereits zweijähriges Studium der Landwirtschaft in Halle auf. Eine kluge Entscheidung, wie wir jetzt wissen.

"Da Filminteressierte lange auf die Filmhochschule haben warten müssen, hatten sich viele interessante junge Leute unterschiedlicher Herkunft und Interessenlage gesammelt.", erzählt er 1994 der FUNK-Korrespondenz. "Uns kam die Aufbruchstimmung einer neuen Institution entgegen. Die Lehrkräfte waren Leute, die etwas wollten, die sich wirklich Mühe mit uns gaben. Die vier Jahre Studium waren eine wunderbare Zeit für mich." Obwohl die Mauer noch nicht stand und es Hochschulangehörigen dennoch verboten war, nach West-Berlin zu reisen, ging er – widerständig wie viele andere Studierende - dort trotzdem heimlich ins Kino. Davon erzählte er gerne. Er konnte wunderbar erzählen.

Sein damaliger Professor Althaus und dessen vielfältiges Konzept des Produktions-Studiums erleichterte Gerd Gericke, seiner Neigung nachzugehen und auf Dramaturgie umzusteigen.

Als seine Eltern und Geschwister 1958 in den Westen flüchteten, blieb Gerd Gericke hier. Während Kinder von Republikflüchtigen an anderen Hochschulen rausflogen, hielt Althaus die Hand über seinen Schützling.

Nach dem Diplom 1959 ging Gerd Gericke als Aufnahmeleiter zur DEFA nach Berlin-Johannisthal zur Künstlerische Arbeitsgruppe (KAG) Stacheltier. Hier wurden die "Stacheltiere" produziert, satirisch-humoristische Spielfilme. Der Übergang ging reibungslos, erinnert er sich. Aus Praktika kannte er das Terrain. Doch bei einigen "alten Hasen", die ihr Handwerk noch von der Pieke auf gelernt hatten, traf der "Filmhochschüler" noch auf Vorbehalte.

Damals wohnte Gerd Gericke in Babelsberg und fuhr täglich mit der S-Bahn durch den Westen zur Arbeit. Seinen Plan, zu den Eltern und Geschwistern in den Westen gehen – ein Datum gab es schon - vereitelte schließlich der 13. August. "Ich bin nicht daran zerbrochen, muss ich ehrlich sagen.", reflektiert er später. Bei der DEFA fühlte er sich wohl, und die Mauer hat ihm eine schwere Entscheidung abgenommen.

Das letzte "Stacheltier kam 1964 heraus und die KAG gleichen Namens wurde zur Gruppe Johannisthal. Das 11. Plenum war der nächste Schock. Hoffnung brachten 1970 der 8. Parteitag und Erich Honecker, der Walter Ulbricht ablöste.

1974 entstand in der Gruppe Johannisthal "Jakob der Lügner" in der Regie von Frank Beyer. Es war die einzige DDR-Produktion, die in der Kategorie bester fremdsprachiger Film für einen Oscar nominiert wurde. Dafür erhielten der Dramaturg Gerd Gericke und alle seine Kollegen des Film-Kollektivs den Nationalpreis der DDR zweiter Klasse. Auf der Berlinale wurde der Film 1975 mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet.

Nach der Biermann-Ausweisung und dem Eklat um "Insel der Schwäne" (DDR 1983, Regie Herrmann Zschoche) wechselten Gerd Gericke und seine Ehefrau Gabriele Herzog zum Kinderfilm. "Die Agonie der DEFA ab Mitte der 80er Jahre war natürlich ein Reflex der gesellschaftlichen Agonie. Man konnte die Luft schneiden in diesem Land. Und so war das auch in der DEFA." Gerd Gericke war in dieser Zeit der Dramaturg, der die meisten Kinderfilme produziert hatte. "Filme mit Kindern zu sehen, macht einfach riesigen Spaß, das ist durch nichts zu ersetzen."

In der Wendezeit engagiert sich Gerd Gericke im Film- und Fernsehverband der DDR als stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Verbandsrats – gemeinsam mit Helke Misselwitz und Rolf Richter – und stand dem Landesverband Berlin vor.

Zum Wintersemester 1991 kommt Gerd Gericke schließlich als Professor für Praktische Dramaturgie an die Filmuniversität – damals noch HFF – und bleibt hier bis zu seinem Ruhestand 2001.

Hier lernte ich ihn kennen und schätzen. Gern erinnere ich mich an gemeinsame S-Bahn-Fahrten von Babelsberg in den Ostteil Berlins und an die vielen Unwägbarkeiten, die der Fahrplan uns in jenen Tagen wiederholt bescherte. Diese unfreiwilligen Aufenthalte schenkten uns viel Zeit zum Reden. Wie gesagt, Gerd konnte wunderbar erzählen.

Leb wohl, Gerd. Der Film Deines Lebens ist durchgelaufen und uns bleibt der Klang der leeren Spule, die sich für uns immer noch dreht. Der Dramaturg in Dir sah sicher Ende und Erlösung längst voraus.

Wir sprechen seiner Ehefrau Gabriele Herzog, seinem Sohn und allen, die ihn kannten und mochten, unser Beileid aus.

Die Beisetzung findet am 15. September 2021 um 14:00 Uhr auf dem Südwestfriedhof in Stahnsdorf statt.

 

Filmografie (Auswahl)

Die Zitate wurden  dem Artikel von Egon Netenjakob "Wir hätten gezeigt, was wir können, Über ein Gespräch mit Gerd Gericke" in der FUNK-Korrespondenz Nr. 50 vom 16. Dezember 1994 entnommen.

Ralf Schenk sprach am 23.Oktober 2002 im Zeitzeugengespräch mit Gerd Gericke über seine Zeit als Dramaturg am DEFA-Studio für Spielfilme 1960 - 1991, seine Ausbildung, Arbeitsbedingungen, Stoffe und Autoren. Clip