""Man muss das Verschwinden vorbereiten" - niemals hätte ich gedacht, wie prophetisch diese Aussage war", so Kommilitone, Wegbegleiter, Kollege und Teampartner hinter der Kamera Prof. Peter Badel über Thomas Heise im Deutschlandfunk. Sie stammt aus seinem preisgekrönten Film HEIMAT IST EIN RAUM AUS ZEIT (2019), "ein Versuch, Geschichte auf einen Begriff zu bringen", die Geschichte der eigenen Familie, die er als letzter Überlebender beschrieb, und sein Vermächtnis. Am Mittwoch ist Thomas Heise, einer von Deutschlands bedeutendsten Dokumentarfilmern, verstorben.
Thomas Heise wurde am 22. August 1955 in Ostberlin geboren. Nach Facharbeiterlehre und Wehrdienst arbeitete er als Regieassistent beim DEFA Studio für Spielfilme, holte das Abitur nach und begann 1978 sein Regiestudium an der Filmhochschule in Babelsberg. Der Titel eines kleineren Übungsfilms WOZU DENN ÜBER DIESE LEUTE EINEN FILM?und gleichsam Frage eines Dozenten wurde programmatisch für sein Werk: "Tiefenbohrung in der Wirklichkeit" benennt es die Süddeutsche . "Er arbeitete unheimlich genau, aufmerksam, legte sein Material auf die Goldwaage", schreibt die Berliner Zeitungin ihrem Nachruf. Doch genaues Hinsehen, Beobachten und Dokumentieren - wie es Thomas Heise bereits in seinen Studentenfilmen tat, waren unbequem. Damals wehte ein anderer Wind in Babelsberg. Seiner drohenden Exmatrikulation kam er zuvor und verließ 1982 die Hochschule ohne Diplom - „freiwillig“ oder vielmehr im Ergebnis operativer Bearbeitung durch das MfS zwischen 1976 – 1988 ( OV „Schule“ ).
Das Filmemachen gab Thomas Heise nie auf, machte sich als Autor und Regisseur für Film, Funk und Theater einen Namen. In seiner Regie entstanden mehr als 20 Dokumentarfilme, international erfolgreich und prämiert. Er war Meisterschüler der Akademie der Künste der DDR, arbeitete bei Fritz Marquardt am Berliner Ensemble, realisierte eigene Inszenierungen. Später wurde er Mitglied der Europäischen Filmakademie und der Akademie der Künste Berlin-Brandenburg, leitete dort von 2018 bis 2024 die Sektion Film. Er war Professor für Film an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe sowie für Kunst und Film an der Akademie der bildenden Künste Wien. Im Juni 2013 kehrte er in Ehren an die Filmuni zurück: Er wurde „in Würdigung seiner hervorragenden wissenschaftlichen Leistungen“ zum Honorarprofessor im Fach Cinematography bestellt. Die Antrittsvorlesung widmete er seinem Theaterprojekt in der Haftanstalt San Fernando, Mexico City. Für die Inszenierung mit kriminellen Jugendlichen im Alter von 15 bis 19 kompilierte er Passagen aus dem "Lesebuch für Städtebewohner" von Bertolt Brecht, der "Abschweifung über produktive Arbeit" von Karl Marx mit autobiografischen Texten der jugendlichen Häftlinge.
Er habe seine Filme entlang der Frage konzipiert, was die Menschen in 300 oder 400 Jahren an unserer Gegenwart noch interessieren könnte, sagte er selbst über sein Werk im Interview mit dem SPIEGEL. Er wollte zur Reflexion herausfordern, zeigen, was andere nicht zeigen, das gesellschaftlich Relevante in den Randbereichen, im Tabuisierten ausmachen - um der Wahrhaftigkeit willen. Die Filme bleiben - und mit ihnen auch die besondere Philosophie Heises: „Man kann sich die Geschichte länglich denken. Sie ist aber ein Haufen“ (aus MATERIAL 2009).
Wir trauern um Thomas Heise!
Einige seiner Werke kann man in der Mediathek der Bundeszentrale für Politische Bildung sehen.