Forschungs-News

Neues Forschungsprojekt zum digitalen Videoessay gestartet

Im Interview spricht Walter-Benjamin-Stipendiatin Evelyn Kreutzer über ihr in Deutschland bisher einzigartiges Forschungsprojekt „The Digital Video Essay".

Seit Juli diesen Jahres arbeitet Evelyn Kreutzer an einem in Deutschland bisher einzigartigen Forschungsprojekt. Die Filmwissenschaftlerin hat die letzten Jahre in den USA geforscht und wird aus dem Walter-Benjamin-Programm der DFG gefördert, das sich explizit an wissenschaftliche Remigranten richtet. In einem kurzen Gespräch erläutert sie ihr Thema und ihre Motivation.

Dein Projekt beschäftigt sich mit digitalen Videoessays, also einer filmischen Form, die von dem französischen „essayer“ (versuchen) kommt. Was genau fasziniert Dich an dieser speziellen Herangehensweise?

Als Praktizierende in diesem Format mag ich es besonders, dass ich meinem intuitiven Verständnis viel kreativen Raum geben kann. Wenn ich an einem wissenschaftlichen Aufsatz arbeite, beobachte, höre, analysiere und skizziere ich in der Regel fast das gesamte Projekt ehe ich es ausschreibe. Beim videographischen Arbeiten ist das eher ein ständiges Wechselspiel und die verschiedenen Schritte verschwimmen oftmals. Zudem sind die Konventionen dazu, wie ein akademischer Video-Essay “auszusehen” hat, relativ offen. Man hat viel spielerische und gestalterische Freiheit und kann verschiedene Analyse- und Darstellungsformen ausprobieren (im Sinne von „essayer”). 
 Als Beobachterin und Zuhörerin von video-essayistischen Arbeiten meiner Kolleg*innen gefällt mir ebenfalls, dass ich Einblicke in ihre Gedankengänge und kreativen Prozesse bekomme. Ich habe oftmals den Eindruck, die Persönlichkeit und die spezifische, individuelle „Handschrift” oder „Stimme” (letzteres oftmals ja im direkten Sinn, nämlich über Voice-Over-Narration) der jeweiligen Video-Essayistin besonders stark wahrnehmen zu können.

Liegt in dieser essayistischen Praxis ein Potenzial, das über den akademischen Bereich hinausgeht? 

Auf jeden Fall und das ist einer der wesentlichen Gründe, weshalb ich dieser Praxis nachgehe. Zwar gibt es auch im Bereich der Video-Essays mehr oder weniger sichtbare Grenzen zwischen “wissenschaftlichen”, „künstlerischen” und “populären” Channels (dazu gehört zum Beispiel auch die Entscheidung, ob man ein Video bei Vimeo, bei Youtube, in einem Blog oder in einem akademischen Online-Journal veröffentlicht), doch ästhetisch und konzeptuell kommen sich viele Vertreter*innen dieser verschiedenen Lager recht nahe und tauschen sich meiner Erfahrung nach sehr intensiv aus. Hinzu kommt der große Vorteil, dass Video-Essays in der Regel direkt online veröffentlicht werden und zugänglich sind, sodass man sehr schnell Feedback bekommt und in einen direkten Austausch mit Gleichgesinnten kommt. Das geht weit über wissenschaftliche Kreise hinaus. Mich freut auch besonders, dass die „Video-Essay-Community” ausgesprochen unhierarchisch ist. Studierende, Künstler*innen, Promovierende und Professor*innen begegnen sich in der Regel auf Augenhöhe.

Du hast Dich entschieden, dieses Projekt hier an der Filmuni durchzuführen. Gibt es dafür inhaltliche Gründe?

Ich glaube, es gibt wenige Standorte in Deutschland, an denen der Austausch und die Verschmelzung von Theorie und Praxis so ernstgenommen und praktiziert wird wie an der Filmuni. Abgesehen davon, dass es spezifische Einrichtungen wie das Institut für künstlerische Forschung gibt, wo wissenschaftliche und künstlerische Praktiken zusammengebracht werden, herrscht am gesamten Campus ein sehr schaffensfreudiges, kreatives Klima und ich finde es super, dass ich im selben Gebäude (oder direkt in der Mensa) Lehrenden und Studierenden aus der gesamten Bandbreite filmischer und medienbezogener Interessen begegnen kann.

…und was bewegt Dich sonst?

Im Moment beschäftigen mich ehrlich gesagt besonders Themen, die mit meiner wissenschaftlichen Arbeit scheinbar nicht so viel zu tun haben. Dazu gehört der Krieg in der Ukraine, der Klimawandel, die Pandemie…. Wie wahrscheinlich die meisten von uns blicke ich mit Sorge auf unsere unmittelbare und mittelfristige Zukunft. Wir können aufgrund dieser Krisen natürlich unsere Arbeit nicht ruhen lassen, aber ich glaube, sie verpflichten uns dazu, innerhalb des eigenen Wirkungskreises zu überlegen, welche ethischen, ökologischen, sozialen und kulturellen Verantwortungen und Möglichkeiten wir haben. Dazu gehört für mich zum Beispiel, mich in meinem Feld für internationale Zusammenarbeit, sowie für “digital literacy” und Medienaufklärung einzusetzen, Wissenschaftler*innen und Künstler*innen, die weniger institutionelle und/oder finanzielle Unterstützung haben, Möglichkeiten zu eröffnen, und vor allem anderen audiovisuelle Medien als menschliche Begegnungsstätten ernstzunehmen und zu pflegen. 

Weitere Informationen zum Projekt gibt es hier.