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Erinnerungen für Morgen

Ein Interview mit Christian Zipfel, Regisseur des Projekts „Volumetrisches Zeitzeugnis von Holocaustüberlebenden“

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Copyright: Volucap GmbH

Welchen Beitrag können digitale Film- und Medientechnologien zur Bewahrung und Vermittlung von Zeitgeschichte und historischen Erinnerungen leisten? Wie können authentisch und dreidimensional dokumentierte Aussagen von Zeitzeug*innen sinnvoll archiviert und zugänglich gemacht werden? Fragen, denen sich aktuell ein Team der Filmuniversität in enger Zusammenarbeit mit der Volucap GmbH widmet.

Im Gespräch gibt Christian Zipfel erste Einblicke in das vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Energie (MWAE) des Landes Brandenburg geförderte Projekt „Volumetrisches Zeitzeugnis von Holocaustüberlebenden“.
 

Welches Ziel verfolgen Du und das Team mit dem Projekt “Volumetrisches Zeitzeugnis von Holocaustüberlebenden”?

Das Projekt verfolgt zwei Ziele zugleich: Das übergeordnete Ziel ist die Erstellung eines volumetrischen Zeitzeug*innenarchivs, das mindestens sechs  Interviews von Holocaustüberlebenden beinhaltet. Die aufgezeichneten Interviews befassen sich vor allem, jedoch nicht ausschließlich, mit den Geschehnissen in Deutschland zwischen 1938 bis 1945. Aus dem erstellten Archiv werden wir eine erste Virtual Reality (VR) Experience erstellen, die nur einen Teil des aufgezeichneten Materials nutzen wird. Diese VR Experience gilt als narratives proof of concept und soll das erste von vielen Werken sein, die aus dem wertvollen Material erstellt werden.

Virtual Reality (VR) kennen heutzutage viele Menschen vor allem aus Videospielen. Wieso habt Ihr Euch für diese Technologie entschieden?

VR ist im Bereich Gaming am populärsten, jedoch gibt es schon lange Anwendungen für filmische und/oder dokumentarische Narrationen. Wir streben keine Gamification der Erzählung an. Es gibt keine klassischen spielerischen Elemente, wie eine interaktive Dramaturgie. Wir erzählen ähnlich eines klassischen Dokumentarfilms linear und nutzen die räumliche Immersion, die ausschließlich das Medium VR ermöglicht. Diese Immersion kann den emotionalen Impact erhöhen, wenn die VR Experience das Gefühl vermittelt, den Portraitierten wahrhaftig gegenüber zu sitzen. Das Medium VR ist jedoch nur eine Möglichkeit, wie das generierte Archivmaterial genutzt werden kann. Das Material kann ebenso für klassische Filmformate, Augmented Reality (AR), Extended Reality (XR), Virtual Production oder Audioinhalte genutzt werden.

Ihr führt das Projekt in Kooperation mit der Volucap GmbH durch. Wieso sind sie der richtige technische Partner für dieses Vorhaben?

Die Volucap GmbH verfügt über einzigartiges technisches Know-how, das für die Herstellung dieser komplexen Daten unabdingbar ist. Das Studio ermöglicht die zeitgleiche Videoaufnahme der Protagonist*innen mit 32 Kameras aus 16 Perspektiven.  Diese vielen Bildinformationen ermöglichen, dass eine authentische und vielseitig einsetzbare 3D Bewegtbild-Rekonstruktion entsteht, die u.a. in eine VR Anwendung eingebunden werden kann. Diese Technologie bezeichnet man als Volumetrie, da ein volumetrisches Abbild einer Person erzeugt wird, das hologramm-ähnlich nutzbar ist.

Was macht die Zusammenarbeit zwischen Filmuniversität und Volucap aus?

Sowohl der Volucap GmbH als auch der Filmuniversität ist die Relevanz des angestrebten Zeitzeugnisses bewusst. Die Holocaustüberlebenden werden mit einer sehr komplexen Technik aufgezeichnet, die medieninhärente Schwierigkeiten mit sich bringt. Dennoch ist allen Beteiligten bewusst, dass diese Technik nicht zum Selbstzweck wird, sondern stets der wichtigen Aufgabe nachkommt, eine authentische und politisch-relevante Erzählung aufzuzeichnen. Auf Seiten der Filmuniversität arbeiten vor allem klassische Dokumentarfilmer*innen an dem Projekt; die Volucap ermöglicht uns, die dokumentarische Narration auf eine einzigartige technisch-innovative Art und Weise einzufangen.

Mit welchen Hürden und Herausforderungen seht Ihr Euch bei der Konzeption und Realisierung dieses Projektes konfrontiert?

Es gibt etliche Limitierungen, die eine kreative Lösung fordern. Beispielsweise werden derart viele Daten generiert, so dass lediglich 65 Minuten Interviewzeit möglich sind. Wenn man bedenkt, welche komplexen und emotionalen Geschichten die Holocaustüberlebenden teilen, ist diese Limitierung eine große Herausforderung. Um der erzählten Geschichte dennoch gerecht zu werden, investieren wir daher viel Zeit in eine intensive Recherche, um die Interviewfragen so präzise wie möglich zu gestalten, sodass wir dennoch die wichtigsten Elemente der Erzählung volumetrisch erfassen können. Da wir jedoch keine Erzählung unterbrechen werden, wird das Interview nach 65 Minuten weiterhin auditiv aufgezeichnet. Unsere Protagonist*innen, die bereits zugesagt haben, sind zwischen 86 und 100 Jahren alt. Ab Anfang kommenden Jahres wird die Volucap in der Lage sein, mit einem mobilen Set-Up zu reisen. Bis dahin können wir ausschließlich vor Ort in Potsdam-Babelsberg drehen. Die Reisefähigkeit ist bei den betagten Protagonist*innen eine Hürde für die Aufzeichnung der Zeitzeug*innen-Gespräche, weswegen wir derzeit vor allem im Raum Berlin-Brandenburg nach Zeitzeug*innen suchen.

Wie empfindest Du die Reaktionen der Zeitzeug*innen auf Euer Vorhaben?

Die Holocaustüberlebenden, mit denen wir bereits in Kontakt stehen, sind dem Medium VR gegenüber sehr aufgeschlossen. Es ist nicht immer leicht, die narrativen und technischen Möglichkeiten von VR zu erklären. Aber es war für unsere Protagonist*innen stets nachvollziehbar, warum es derart wichtig ist, die volumetrischen Daten zu diesem Zeitpunkt zu generieren. Es gibt nur ein sehr begrenztes zeitliches Fenster, in dem zugleich volumetrische Aufnahmen möglich sind und Holocaustüberlebende ihre Geschichte erzählen können. Unsere Protagonist*innen wissen, dass wir ein nachhaltiges Archiv für zukünftige Generationen schaffen und dass VR oder auch AR vor allem ein junges Zielpublikum hat. Insbesondere das potentielle Interesse junger Menschen hat viele überzeugt, den volumetrischen Aufnahmen zuzustimmen.

Wem wird bzw. sollte das aufgezeichnete Material in Zukunft zur Verfügung gestellt werden?

Das Material wird in Zukunft nicht-kommerziellen Projekten in dem Bereich Bildungs- und Erinnerungsarbeit wie z.B. in Schulen, Museen und Gedenkstätten zur Verfügung gestellt. Um den Zugang zu dem Material zu regulieren, plant die Filmuniversität mit einer Partnerorganisation zu arbeiten, die im Bereich der Archivierung agiert und im Projektverbund und in Zusammenarbeit mit Expert*innen eine Richtlinie und Verfahrensweise für den Zugang und die Nutzung der Materialien anwendet.

Wie würdest Du abschließend in einem Satz die Relevanz des Projekts beschreiben?

Das Projekt der Filmuniversität ist eines von vielen, dass sich derzeit mit der Frage auseinandersetzt, wie wir in einigen Jahren Erinnerungsarbeit leisten und an die Betroffenen des Holocaust gedenken können, wenn keine Zeitzeug*innen mehr leben und diese Aufgabe aktiv übernehmen.

 

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