Cinematic Atmospheres: Towards a New Ecology of the Moving Image (CATNEMI)

Das Forschungsprojekt untersucht Funktionsweise und Wirkung des Atmosphärischen im Film. Mit dem Anliegen, das seinem Wesen nach Flüchtige und Ephemere im analytischen Prozess beschreibbar und verstehbar zu machen, wird nicht nur eine Forschungslücke geschlossen, sondern auch ein Beitrag geleistet zu einem reflektierten, aufgeklärten Umgang mit den im gesellschaftlichen Raum allgegenwärtigen Bewegtbildern.

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Das Kino funktioniert nicht nur über die reine Darstellung fiktiver Welten, sondern auch über die assoziativen und emotionalen Mechanismen, die es in Gang setzt. Mehr noch: sein weltweiter, inzwischen weit über ein Jahrhundert andauernder Erfolg ist unbestreitbar mit seiner Fähigkeit verbunden, das Publikum in affektiv aufgeladene, atmosphärisch dichte Universen hineinzuziehen. Filmemacher*innen gestalten ihre Erzählwelten sorgfältig und setzen Geräuschkulissen, Musik, Farbgebung, Filter, Kamerabewegungen,  Produktionsdesign, Inszenierung, Schnittrhythmus und unzählige andere Merkmale gezielt ein, um die emotionalen und affektiven Erfahrungen des Publikums zu orchestrieren. Trotz ihrer offensichtlichen Wirksamkeit werden filmische Atmosphären in der Wissenschaft bisher kaum beachtet. Dies mag an ihrer ontologischen Unbestimmtheit liegen oder auch an der Tatsache, dass sie vor bzw. jenseits der kognitiven, kritischen und analytischen Reflexion operieren und ihre Wirkung in erster Linie affektiv erreichen.

CATNEMI untersucht die filmische Atmosphärenproduktion in all ihren erfahrungsbezogenen, ästhetischen und ethischen Implikationen. Derart multiperspektivisch aufgefächert, erweist sich das Atmosphärische als ein attraktives, aber auch problematisches, mitunter sogar gefährliches, weil ideologisch aufgeladenes Phänomen.
Das Projekt hat deshalb auch das Ziel, das kritische Bewusstsein für die grundlegenden atmosphärischen Mechanismen des Kinos zu schärfen. Dies ist von besonderer Bedeutung in einer Zeit, in der das Medium in neue Medienumgebungen verlagert wird und seine Techniken in Ökologien wiederverwendet werden, die nicht per se filmisch sind, wie z. B. Nachrichtensendungen, Videokonferenzen, Schiedsrichterentscheidungen beim Sport und sogar Terroristenrekrutierung.

CATNEMI geht dabei in drei Etappen vor, indem es

  1. ein umfassendes konzeptionelles Verständnis entwickelt von filmischen Atmosphären als Möglichkeit, den perzeptiven, affektiven und kognitiven epistemischen Zugang zur Welt des Films zu organisieren, und
  2. auf Grundlage dieses Verständnisses eine Methode für die Untersuchung der Mechanismen und Techniken der filmischen Atmosphärenproduktion erarbeitet, bevor es iii) diese Methode ausdehnt auf die Frage nach gegenwärtigen Bewegtbildpraktiken: Was verändert sich, wenn diese filmischen Prozesse der Atmosphärenproduktion nicht mehr allein dem Kino vorbehalten sind, sondern zunehmend außerhalb des narrativ-ästhetischen Bereichs eingesetzt werden? Wenn sie in den Dienst größerer soziokultureller, ökonomischer und politischer Formen der Organisation von Wahrnehmung, Kognition und Affekt gestellt werden, von Kunstinstallationen bis hin zu sozialen Medien?

Aus dieser Perspektive muss das Atmosphärische als zentrale Kategorie für alle Untersuchungen gelten, welche die Beziehung zwischen unseren körperlich-kognitiven Fähigkeiten und der Welt zu bestimmen versuchen, unabhängig davon, ob dies aus phänomenologischer, enaktiver, medienanthropologischer, affekttheoretischer, neuro-filmologischer oder posthumanistischer Perspektive erfolgt. Es kommen also mehrere Faktoren zusammen, die auf einen „atmospheric turn“ in der Filmwissenschaft hindeuten. Das Projekt leistet hierzu einen signifikanten Beitrag.

Förderung: Horizon Europe ERC Starting Grant

In der Forschungsgruppe, die auf fünf Jahre angelegt ist, arbeiten neben dem Projektleiter jeweils ein*e Doktorand*in und ein*e Postdoc.

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